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Wenn Entlassungen drohen und Mitarbeiter Whistleblower werden, um Kündigungsschutz zu bekommen

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Neuer Kündigungsschutz für Whistleblower

Unternehmen brauchen sich nicht wundern, wenn sie künftig gleich einen ganzen Schwung von Whistleblower-Meldungen erhalten. Und zwar kurz nachdem Restrukturierungspläne ruchbar werden oder wenn sie Entlassungen ankündigen. Denn so wie bislang Betriebsräte absoluten Kündigungsschutz genossen haben, tun dies jetzt auch Whistleblower. Vorausgesetzt, sie haben ihre Hinweise zu Compliance-Verstößen, fragwürdige Unregelmäßigkeiten oder Straftaten im eigenen Unternehmen in ein Hinweisgebersystem eingegeben oder an eine Meldestelle gemeldet. Und vorausgesetzt sie haben dafür, so wie es die EU vorsieht, eine Rückmeldung erhalten. Als ihr Beweismittel für ihren Hinweis. Denn ab dem Moment bekommen Whistleblower oder Hinweisgeber – so will es die EU – besonders starken Kündigungsschutz, erklärt Tobias Osseforth von der Kanzlei Luther.

 

Tobias Osseforth (Foto: C.Tödtmann)

 

Nur dass sie nicht erst gewählt werden müssen wie Betriebsräte. Sie haben es selbst in der Hand. Denn die Whistleblower-Richtlinie der EU will Hinweisgeber besonders schützen vor Restriktionen ihres Arbeitgebers, sei es Schikanen, Degradierungen, Versetzungen, Abmahnungen oder eben Kündigungen. Also jeder indirekte oder direkte berufliche Nachteil laut Kanzlei Noerr. Und das kann nicht ausgeschlossen werden im Arbeitsvertrag.

 

Wem Whistlower-Hinweise dann besonders nützen

Interessieren könnten Verstösse im eigenen Unternehmen dann – vor Entlassungs- und Kostensparrunden – zum Beispiel Mitarbeiter, die keine oder wenige Sozialpunkte haben. Die nach dem Sozialplan ihres Unternehmens sehr schnell ganz oben auf der Kündigungsliste stünden. Diejenigen mit keinerlei Unterhaltspflichten für Partner und Kinder. Oder diejenigen mit kurzer Firmenzugehörigkeit. Oder überhaupt alle, die große Angst vor Jobverlust haben.

 

All jene könnten plötzlich besonderes Interesse zum Beispiel an #metoo-Fällen bei Kollegen oder Vorgesetzten haben, an Verstößen ihrer Chefs gegen die Arbeitszeitordnung oder die Arbeitssicherheitsvorschriften, an Kurzarbeit in ihrer Firma, die in Wahrheit keine ist. An verbotener technischer, heimlicher Überwachung der Arbeit der Mitarbeiter im Homeoffice, die Nutzung von Software ohne passende Lizenzen oder auch Datenschutzverstösse. Umweltvergehen, unberechtigte Subventionen, Steuerbetrug, Scheinselbständigkeit, Bestechung, Schmiergeldzahlungen undundund.

 

Der Unterschied zwischen echten Whistleblowern und Kündigungsschutz-Whistleblowern

Die Bandbreite ist riesig. Fest steht: All solche Verstöße können Unternehmen teuer zu stehen kommen und nicht nur hohe Geldbußen die Folge sein. Und Mitarbeiter, die bis dahin aus Loyalität zu ihrem Arbeitgeber derlei Sünden totschwiegen, haben dann womöglich ein großes Interesse, sie auffliegen zu lassen. Mit einem Unterschied zu den herkömmlichen Whistleblowern: Denen geht es tatsächlich um uneigennützige Motive. Die ertragen Mißstände nicht und sind oft lange geplagt von ihrem Gewissen, ehe sie Verstösse melden, so berichtet Complianceanwältin Karin Holloch. Den neuen Whistleblower hingegen wird es allein um ihren Job gehen.

 

Karin Holloch (Foto: C.Tödtmann)

 

Auf Vorrat Verstösse im Unternehmen suchen und verbuddeln wie Eichhörnchen

Sie werden nach Verstössen von Kollegen und Vorgesetzten suchen, sobald Restrukturierungen und Kündigungswellen am Horizont auftauchen. Und vielleicht werden sie es so machen wie IT-Mitarbeiter mit Firmendaten, die sie nichts angehen: Sie sammeln schon mal auf Vorrat Verstösse, um die Belege im Falle des Falles nur noch ziehen zu müssen. So wie Eichhörnchen ihre Nüsschen für den Winter vergraben.

 

 

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Irrt sich ein Whistleblower, hat er trotzdem Kündigungsschutz

Und es kommt noch dicker für Unternehmen. Ist doch die Frage: Müssen die Meldungen der Whistleblower unbedingt stimmen? „Für einen Schutzanspruch des Hinweisgebers ist es nicht entscheidend, dass er zutreffende Verstöße meldet. Vielmehr schützt die Whistleblower-Richtlinie auch gutgläubige Hinweisgeber“, heisst es bei der Kanzlei Noerr. Und weiter: „Für den Schutzanspruch ist es also unschädlich, wenn der Hinweisgeber die Unrichtigkeit seiner Behauptungen versehentlich verkennt. Auch im Fall eines (vermeidbaren) Irrtums über Tatsachen oder die rechtliche Würdigung eines Sachverhalts kann daher regelmäßig ein Schutzanspruch bestehen.“ Im Klartext: Die Hinweise müssen nicht mal stimmen, Hauptsache der Whistleblower dachte es und dann hat er auch Kündigungsschutz.

 

… nur nicht bei vorsätzlich oder offensichtlich falschen Hinweisen

Und Noerr weiter: „Der Schutzanspruch entfällt somit erst, wenn vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Hinweise abgegeben werden, die Fehlerhaftigkeit also offensichtlich ist oder sich diese dem Hinweisgeber hätte aufdrängen müssen. Ein Schutzanspruch dürfte damit regelmäßig erst bei unbegründeten Spekulationen oder Gerüchten ausscheiden.“ Mit anderen Worten: Nur bei offensichtlich falschen Beschuldigungen des Unternehmens oder der Manager und bei reinen Spekulationen und Gerüchten gibt es keinen Kündigungsschutz für die Mitarbeiter-Whistleblower.

 

Überraschender Tipp für Unternehmen: Whistleblower mit Prämien zu belohnen

Noerr hat deshalb für Unternehmen auch einen Praxistipp parat, der die meisten Manager mit ihrer traditionellen Abneigung gegen Whistblower in den eigenen Reihen überraschen dürfte: Sie sollten Hinweisgebern „gewissen Anreize“ mit finanziellen Belohnungen oder Prämien geben, um sie „vorrangig zu einer internen Meldung zu bewegen“. Will heissen: Manager sollten die Tippgeber so oder so ermuntern, Hauptsache, sie geben die Hinweise intern – und nicht an Behörden oder gar Medien. Der schlechten Publicity halber.

Denn: So lange das Unternehmen selbst die möglichen Straftaten oder Compliance-Verstöße ermittelt oder von Anwälten ermitteln lässt, hat es die Fäden noch selbst in der Hand. Es entscheidet selbst, ab welchem Moment es in die Öffentlichkeit oder an die Behörden geht und mit was. Es sitzt „im Driver-Seat“, nennen das die Juristen. Denn wenn erst einmal die Behörden oder die Staatsanwaltschaft ermitteln, ist das betroffene Unternehmen nicht mehr Herr der Lage.

 

Überschwemmung nach Starkregen (Foto: Privat)

 

Auch Angestellten der öffentlichen Hand kommt der neue Schutz vor Repressalien für Hinweigeber zugute. Vergaberechtsanwalt Tobias Osseforth vermutet allein schon bei Auftragserteilungen von Behörden von Schutzmasken bis Ahrtal-Aufräumarbeiten wahre Minenfelder. Zum Beispiel unzulässige Direktaufträge – ohne vorher mindestens drei Anbieter angefragt zu haben – , die nur ausnahmsweise erlaubt sind. Oder wenn zwar drei Auftragnehmer angefragt wurden, aber von denen zwei gleich von vornherein nicht wollten oder konnten – und das dem Auftrag-Erteilenden auch klar war.

 

Whistleblowermeldung als Geldquelle für Übergangene bei Beförderung

Schlußendlich können die neuen Schutzvorschriften sogar denjenigen in die Hände spielen, die bei einer Beförderung übergangen wurden – und dann mal einen Whistleblower-Hinweis geben. Dann nämlich gibt es eine gefährliche Beweislastumkehr, erklärt Anwalt Osseforth. Wird dieser Mitarbeiter in der nächsten Beförderungsrunde nicht befördert, muss der Arbeitgeber beweisen, dass es nicht an der Meldung des Whistleblowers lag. Kann die Behörde oder das Unternehmen als Arbeitgeber das nicht beweisen, hat der übergangene Hinweisgeber Schadensersatzansprüche gegenüber der Behörde, so Osseforth weiter.
Im Klartext: Er bekommt künftig den Differenzbetrag der nächsthöheren entsprechenden Position zusätzlich obendrauf – und muss den Job nicht mal auf sich nehmen.

 

Lesetipps:

Warum es für die Anwaltskarriere nützlich sein kann, Bridge-Profi zu sein: Vergaberechtler Tobias Osseforth wechselt samt Team zu Luther (Exklusiv)
https://blog.wiwo.de/management/2021/12/13/warum-es-fuer-die-anwaltskarriere-nuetzlich-sein-kann-bridge-profi-zu-sein-vergaberechtler-tobias-osseforth-wechselt-samt-team-zu-luther-exklusiv/

Karin Holloch gründet: Eine Top-Compliance-Anwältin pfeift auf die Partnerschaft in einer internationalen Law Firm und startet in der Düsseldorfer City durch
https://blog.wiwo.de/management/2021/03/15/karin-holloch-gruendet-eine-top-compliance-anwaeltin-pfeift-auf-die-partnerschaft-in-einer-internationalen-law-firm-und-startet-in-der-duesseldorfer-city-durch/

 

 

 

 

 

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